„Ist das für die normal?“

(ein Slamtext, vorgetragen anläßlich des C3-Library Slams « Bon voyage!? » am 24. Oktober 2017, Finale, 1. Platz ex aequo mit Henrik Szanto)

Sehr geehrte Frau… oder soll ich „Liebe Margret“ sagen?
Nein, weder noch; denn weder sind wir per du, noch sind Sie mir „lieb“ oder „geehrt“, und, vorausgesetzt, es ist Ihr richtiger Name und nicht einer dieser austauschbaren und anonymen KronenzeitungsleserInnennamen, kann ich ihn nicht ganz ausschreiben – so wenig wie die von Herrn Ignaz U. aus Graz oder Herrn Martin K. aus Bad Vöslau.

Bleiben wir also bei Frau M.
In einem Brief an den Herausgeber schreiben Sie, Frau M., Ihren Unmut über den Müll, den „die Asylwerber überall, wo sie waren, in Bahnhöfen, Straßen, Zelten, einfach liegen“ lassen, denn Ihnen „tun sie sehr leid, aber“… Sie können nicht verstehen. „Das sieht man im Fernsehen und in den Medien“, bitte schön, und dann ziehen sie einfach weiter, aber wirklich,

„ist das für die normal?“

Was Sie vergessen zu sagen, Frau M., oder nicht sagen, weil Sie es nicht wissen, weil Sie Ihr Wissen, oder das, was Sie für Wissen halten, vermutlich aus Medien wie die „Kronen Zeitung“ beziehen, die „nicht wie der Großteil der anderen Medien berichtet“, ist, dass erstens der Begriff „Asylwerber“ sich per definitionem nicht auf die Menschen bezieht, … die weiterziehen.

Die Tatsache, dass diese Zeitungsrubrik „Das freie Wort“ heißt, berechtigt nicht zur Missachtung der deutschen Sprache und zur Verwirrung der Begriffe. Die, die … weiterziehen, werden nicht in Österreich um Asyl werben. Ihr Status ist „Flüchtlinge – Flüchtlinge – Flüchtlinge“, so steht es auch ganz groß als Titel auf Seite 41.

Zweitens darf ich anmerken, dass „deren Müll“ „unser Müll“ ist; ein Müll, den wir gespendet haben, denn schließlich, das schreiben Sie selber, Frau M., tun Sie uns und Ihnen „sehr leid“ – außer wir sind, wie Frau Hanna M. aus Wien schreibt, „eigentlich komplett abgestumpft“ –, aber in Wirklichkeit tun wir das, um unser Gewissen zu beruhigen, um sagen zu können, dass auch wir ihnen geholfen haben,

„jawohl, meinen Pelzkragen habe ich denen gegeben, a bißerl kaputt, durch die Motten im Dachboden, aber weißt, wie warm so ein Pelz ist?“

Und die Lacklederpumps, die Eislaufschuhe, den elektrischen Fusselrasierer, den Eiersollbruchstellenverursacher, den Natursauerteigführungsautomat, und – ja, natürlich! – das riesige Winnie Puuh Stofftier oder noch besser Ferkel, das süße Schweinchen, mindestens so süß, wie das aus der Werbung;

nur dass ein Schwein ein Schwein bleibt, und dass das Tier von Moslems nicht unbedingt als niedlich empfunden wird, schon gar nicht, wenn es fünfzig Zentimeter groß ist, und es darum geht, Reiseproviant für vier Personen, Ersatzkleidung und Windeln in einem zerfetzten Kommissar Rex Schulrucksack für eine Busreise nach Deutschland oder Skandinavien… oder doch zurück nach Ungarn unterzubringen.

Nein, Frau M. aus Neunkirchen, ich kann wirklich nicht mit Ihnen per du sein. Auch nicht mit den Frauen Mosler, Mosche, Berger oder den Herren Krämer, Stadler und Unterasinger.

In einem anderen Leserbrief heißt es: „Ein kurzer Blick in die Krone vom 25. September bringt den Leser in eine Welt, die eigentlich Angst macht.“ Für die Leserin, die ich manchmal bin, macht jeder Blick in die „Krone“ und ihr „Freies Wort“ Angst. Und am Erschreckendsten finde ich das Schlusswort der Rubrik: „Mehr davon jetzt online“.

[Dieser Text bezieht sich auf die Kronen Zeitung von Sonntag 27. September 2015]

Das neue Opium des Volkes

(ein Slamtext über ein sogenanntes Urlaubsparadies, vorgetragen anläßlich des C3-Library Slams « Bon voyage!? » am 24. Oktober 2017, 1. Runde)

 Ein Strand in Goa. Sonnenuntergang, Meeresrauschen und Möwenschreie. Eine leichte Brise weht in den Palmen und in meinen gewellten Haaren. Inbegriff des Paradieses. Mein Fußabdruck … im nassen Sand hinterlässt mystische Symbole: Dharmachakra und flammende Sterne.

Goa. Hier glühen seit vierzig Jahren die Aussteigerherzen; verlorene Seelen, die wie römische Lichter die ganze Nacht lang brennen, brennen, brennen. Hippies in ausgewaschenen Klamotten, mit Tattoos, Piercings und Dreadlocks.
Hype and cool.
High and smooth.
Bei Tag gibt’s Yoga, Tantra, New Age Music, Ayurveda.

Abends wird getrommelt, Hand gelesen, jongliert und tarockiert, du rauchst Kingfischer Bier oder trinkst einen Joint, oder umgekehrt, am Ende singst du Mantras: Om mani padme hum!

Horizonterweiterung.

Eine Engländerin will ein Buch über die Sonnenuntergänge auf der ganzen Welt schreiben. So different! Sonst kauft sie Stoffe und Schmuck für ihre Boutique in London. Ihr Fußabdruck?
London-Goa hin-zurück über Mumbai und Dubai vier Mal im Jahr … 10 Tonnen Co2 … 10 Tonnen, das sind 5 Autos oder 4 Elefanten.

Eine junge Sirene tanzt in den Wellen eine Bollywood-Choreographie; auf einer Düne liegt ein totes Schwein im Sand; daneben macht ein kahlköpfiger Mann Tai-Chi. Sein Yin und sein Yang in voller Harmonie. Frische leuchtende Kraft strömt durch seinen Körper, er teilt die Wolken mit den schwingenden Armen, tanzt mit dem Regenbogen, rudert in der Mitte des Sees. Vorwärtstreibende Wellen…
Und diese Ruhe…

Please Madam, have a look, very good price! Junge Frauen in Saris schleppen Bündel von Stoffen: What’s your name? Have a daughter?
Ein kleiner Bub mit vorstehenden Zähnen versucht Ketten los zu werden: Please Ma’m, malachite, turquoise, sandalwood, shark tooth
Ein Eisverkäufer fährt den Strand mit dem Fahrrad auf und ab und klingelt unentwegt mit der rostigen Glocke.
Dann kommt die Kokosnussfrau im Schatten ihres Korbes…
Herst Schorschi, glaubt’s die san bi-o?

Please Madam… jeden Tag kommen sie, dieselben Verkäuferinnen, Lalita, Gita, Sita und Anita, du kennst sie alle. Verlegene Touristen verstecken sich hinter ihren Büchern, Jonathan Franzen, Paolo Coelho, Daniel Kehlmann.
Dein Kindle erweist sich als unbrauchbar.
Hello Madam, how are you today? Remember me? Have a look. You promised. Der Strand als Konsumtempel. Rosa, schwarze, violette Tücher. Die Ränder ungesäumt, die Farbe unfixiert. Dieselben Fetzen wie vor vierzig Jahren, nach Staub riechend. Dieselben Fetzen… Nachhaltig.
Please, have a look! Today is not a good day. Too much Russians on the beach.

Diese Russen.

Die Russen können nicht einmal Englisch, die Russen sind hart im Geschäft, die Russen lesen keine Bücher und kaufen keine Haifischzähne, sie lernen Kitesurfen, sie tragen Goldketten und Designer-Sonnenbrillen. Hören Techno, trinken Rum und Wodka. Mojito, Cuba Libre, Bloody Mary, Stormy Night. Dann fahren sie betrunken ihre halbnackten Blonden in Pareo und Flipflops auf schweren Motorrädern durch die indischen Dörfer.

Aber bald…
bald wird ein Neues Zeitalter kommen: denn die Sonne wird in den Wassermann wandern,
Monsunwinde werden aufsteigen,
schwarze Wolken werden den Himmel verdüstern…
Und wenn der Regen kommt, sind die Russen bestimmt weg.

[Goa, Februar 2012 – Klosterneuburg, Oktober 2017]