Großaufnahme auf einen gusseisernen Kochtopf auf offener Flamme, in dem ghee langsam schmilzt und durchsichtig wird. Eine Frauenhand streut Gewürze in die goldgelbe Flüssigkeit. Wir erkennen Nelken, Zimtstangen und Anissterne. Es fängt an zu brutzeln, zu zischen und zu knistern. Die rechte Hand rührt um, während die linke weiter Gewürze einstreut. Wir sehen mit der Köchin, wie die grünen Kardamomkapseln explodieren, die kugelrunden schwarzen Senfsamen springen, die kleingehackten Ingwerstücke sich verfärben und die roten Chilischoten sich langsam aufblähen. Wir riechen fast den Duft der Mischung. Scharf und süßlich zugleich. Schließlich färbt das Kurkumapulver die ganze Mischung gelb.
In der Ferne vernehmen wir Musik, seltsame Klänge, langsam aufsteigende Töne einer Oboe, die sich bald mit dem Zischen in der Pfanne vermischen. Nun werden die Gewürze mit Bouillon übergossen, weißer Dampf steigt hoch, wird undurchdringlich, das Bild wird langsam unscharf und verwandelt sich in eine blassere Weihrauchwolke. Während dieser Bildfolge ist die Melodie zu einer schrillen lang anhaltenden Klage geworden. Ein tieferes Blasinstrument kommt dazu, beginnt um einen Ton zu kreisen, hält ihn fieberhaft und lässt diese klägliche Note wieder und wieder erklingen. Die Weihrauchwolke verflüchtigt sich nach und nach. Nun greifen tablas den Rhythmus auf, wirbeln und pochen wie ein Herzschlag. Die Musik wird immer lauter, das Tempo immer schneller, als ob sich die Instrumente einen Wettkampf liefern würden, und durch den sich auflösenden Rauch geht das unscharfe Bild des Kochtopfes weich in ein anderes über.
Ein kleines Mädchen sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Diwan, perlweiße Seide auf dem Kopf drapiert. Rundherum sind indische Frauen in farbenprächtigen Kleidern, Gold und Silber, Rubine und Diamanten, Smaragde und Perlen. Die Steine werfen Funken im Raum, und das Babel ihrer Stimmen übertönt beinahe die Musik. Nur eine sitzt einsam und schweigend. Angst und Müdigkeit in ihren feuchten Augen. So schwarz die Augen, so schwarz die Haare. Ihre Lippen zwei Rosenblättern gleich. Ein goldener Ring ziert ihre kleine Nase und eine rote tika ihre Stirn. Ihre Hände und Füße sind mit Henna geschmückt. Das Mädchen ist versprochen. Mit dreizehn Jahren ihre Kindheit zu Ende. Hilfloses Spielzeug in den Händen reicher ranis und rajahs. Vielleicht war die letzte Ernte schlecht, oder der Vater hat keine Söhne bekommen. Eine arrangierte Hochzeit als einzige Überlebenschance. Selbst die Tränen ihrer Wangen werden nichts erlangen. Den Bräutigam hat sie einmal gesehen, als die Ehe besiegelt wurde. Es heißt, er sei erfahren und kräftig. Er ist über fünfzig und hat schon drei Frauen.
Armes, kleines indisches Mädchen, ihrem Schicksal ausgeliefert. Trotz glücksbringendem Goldschmuck, trotz festlichem Hochzeitsessen wird sie vielleicht kaum mehr als ein Jahr leben, die Geburt ihres ersten Kindes nicht überleben, oder an einem Unfall oder Verbrennungen sterben, Racheakt der Schwiegerfamilie. Bloßes Auslöschen der Lampe im Morgenlicht.
Und während das Brautpaar das heilige Feuer siebenmal umkreist, wird über der Szene die laute Ragamusik weiterspielen, aufdringlich, betäubend und schmerzend.
Aufschrift « BOMBAY PORT TRUST ». Tag, Sommer. Der Hafen von Bombay. Es wimmelt von Menschen, vor allem Inder mit bunten Turbanen, Kofferträger, Eselskarren, ein scheinbar ungeordnetes Treiben. Diese zeitlose Szene kann durch die Anwesenheit einiger Automobile in die zwanziger Jahre datiert werden. Ein großer Ozeandampfer legt an. Die Gangway wird heruntergelassen und von Schauermännern mit Tauen am Kai befestigt. Eine Fanfare spielt einen englischen Walzer. Die Passagiere warten ungeduldig und strahlend an der Reling, bis sie ans Land können. Die Meeresluft weht durch die Kinderhaare und die hellen Frauenkleider.
Ein schwarzer Ford, Modell T, wartet auf die Familie. Den Mädchen werden safranfarbene Blumenkränze um den Hals gehängt. « Welcome to India! » Amrita lacht. Auf der schleppenden Fahrt durch die Stadt muss die kleine Indira die Augen zu machen, sie fürchtet sich: der Lärm, die hageren sonnengebrannten Rikschamänner, die bloß in ein weißes Leintuch gekleidet sind, ein Affe auf dem Autodach, der seine Zähne zeigt, die Kobras, die sich nach der Musik der Flöte bewegen, der Gestank nach Fisch und nach Kloake. Amrita lacht. Sie sieht die dunklen Gesichter der Kinder, die bunten Farben der Saris und erkennt das Indien ihres Vaters, das Indien der Gedichte und der Miniaturen, alles ist da: die Männer, ihre Hüften unvorstellbar schmal, ihre Hautfarbe silbern, ihre Brauen geschwungen wie ein Bogen, die Frauen schön auch ohne Schuhe, ohne Schminke, ohne Schmuck. Sie will alles einfangen, alles zeichnen, mit den neuen Farben, die sie auf dem Schiff zum Geburtstag bekommen hat, die Wasserverkäufer, die Kokosnusshändler, hier diesen hockenden Mann, der sich beim Brunnen wäscht, da diese zwei Bettelmönche mit den rollenden Augen, die Stirn mit oranger Farbe geschminkt, der Körper mit Asche bedeckt. Ein Elefant mitten auf der Straße bremst den ganzen Verkehr. Der Ford fährt langsam an einem Markt vorbei. Eine alte Frau sitzt auf dem Boden mit ein paar Kräutersträußen zum Verkauf, ihre Handflächen sind rot gefärbt, daneben ein Kind mit einer Handvoll Mandeln in einem Korb, eine magere Kuh stiehlt einen Bund Petersilie, Amrita hält alles fest; buntes Gemüse, Früchte und Knollen, wie sie sie noch nie gesehen hat, farbprächtige Gewürzpulver, die zu kunstvollen Pyramiden aufgetürmt sind. So viele Rottöne kann sie nicht einmal benennen! Sie kennt Blutrot, Kirsche, Ziegelrot, Mohnfarbe, Feuerrot, Paprika, ach ja, Purpur, Rubin, und in ihrer Farbpalette gibt es noch Krapprot, Zinnober und Amarant … und diese Blumen da, so seltsam … ihr Vater hat von einer Blume erzählt, deren Duft so stark ist, dass man ohnmächtig wird.
Bildschnitt.
Neue Aufschrift GREAT TRANS INDIA RAILWAY. Der Zug verlässt die Victoria Station. Wie bei der Autofahrt, kein Blick ins Innere des Wagens. Die Landschaft rollt am linken Fenster vorbei. Der Zug fährt lange am Meer entlang, schwarze Felsen, bald untergehende Sonne. Amrita sieht die Schönheit der indischen Frauen, die nackten Kinder, die kleinen Tempel, die Elefantenstatuen. Bald kommen die Felder und die Dörfer. Lehmhäuser, Stampferde. Sie sieht die seit Tausenden von Jahren gleichen Gesten, das Schöpfen des Wassers aus einem Brunnen, das Formen der Kuhfladen und Klatschen zum Trocknen an die Hüttenwand. In den Bahnhöfen, wo sie Halt machen, laufen Kinder in Schuluniformen am Bahnsteig und schreien den Passagieren « Namasté! » zu. Ein breiter Fluss wird überquert: Große, weiße Tücher trocknen in der Abendsonne, an den Ghâts stehen Menschen bis zur Taille im Wasser und vollziehen ihre Rituale, weiter weg baden Elefanten. Hier und da bilden am Straßenrand ein paar Steine einen Altar, Räucherstäbchen und Kerzen, Blumenblätter und Früchtegaben. In der Ferne sind die schlanken Minarette einer Moschee zu sehen, und in den Feldern die bunten Farbflecken der Saris. Hier tragen die Frauen große Ohrringe und einen Schmuck im linken Nasenflügel.
Die Erde wird ockergelb und dürr. Die Bäche ausgetrocknet. Die weite Fläche der Felder verwandelt sich langsam in eine Gebirgslandschaft. In der Ferne die verschneiten Gipfel des Himalaja. Eine weiße Stadt hängt wie ein Bienenschwarm am Bergrücken.
Shimla, Queen of Hills.