Wenn es Nacht wird in Paris

Es ist um die Ecke der Rue du Quatre-Septembre und der Rue Louis-le-Grand. Du sitzt zum ersten Mal in diesem fast leeren Café. Du wartest auf deinen Bruder, Louis, Codename Tukan. An einer der getünchten Scheiben des Cafés ist über der Spitzengardine « Chope de l’Opéra » zu lesen, spiegelverkehrt. An diesem lauen Septemberabend tragen die Frauen noch Sommerkleidchen und fahren Rad mit flatterndem Haar. Ein Lieferwagen fährt vorbei mit der Aufschrift « Viandox », und in der anderen Richtung ein Briefträger mit Käppi und Umhang. Im Radio singt Fréhel Mon amant de Saint-Jean, zu dem du so oft mit Mimi getanzt hast, als es noch Bälle gab. Der Spiegel hinter der Theke wirft dein müdes Bild zurück, deine absinthgrünen Augen, den Zinktisch mit der Gauloise im Aschenbecher und dem Gläschen in seiner Bakelitschale. Es ist eine Zeremonie. Du legst den durchbrochenen Löffel auf das Glas, die Einkerbung am Glasrand, drauf einen Würfelzucker, mit Likör getränkt, du zündest das giftige Anisgetränk an, und der trügerische Geist verdunstet, ätherblau. Durch die Verzierungen des Löffels bilden sich goldene Tröpfchen, die langsam ins Glas fallen. Vorsichtig gießt du ein wenig Wasser über den Zucker und siehst, wie eine kleine weiße Wolke sich im Glas verbreitet, bis das ganze Getränk wie frostiger Reif aussieht. Flüchtiger Genuss. Ein erster Schluck, du schließt gar deine Augen, und du verfällst der tiefen Bitternis alter Erinnerungen.
Reifenknirschend halten zwei schwarze Citroëns neben dem Trottoir an. Drei Männer überfallen das Café. Ledermantel, rote Armbinde, dunkle Brillen, Maschinenpistolen, Revolver. Alles geschieht sehr rasch. « Police! Haussuchung! » Wenig Worte genügen. Die Karte ist trikolor durchgestrichen. Ein Tisch wird umgeschmissen, eine Bodenklappe aufgerissen. Ein fahles Licht brennt im Kellerraum. Du vernimmst noch auslaufende Maschinengeräusche. Schwere Schritte auf der Holztreppe. Und dann die laute Stimme. Karge Worte. Ein Schuss. Zwei Männer werden keuchend die Treppe raufgestoßen, die Hände über dem Kopf verschränkt, die Ärmel aufgekrempelt. Sie haben Tinte im Gesicht, Blut auf dem Hemd. Mit wirren Blicken gehen sie an dir vorbei, auf die Straße, wo sie in die Autos gedrängt werden. Auch den Cafébesitzer haben sie mitgerissen.
Seitdem ist es schon lange dunkel geworden. Das Café ist geschlossen, und du hast deinen Absinth nicht ausgetrunken.