Das Es: ein Covid-Gedicht

Du kannst nicht atmen wegen der Covid-Maske?
Du kannst nicht schlafen wegen durchzechter Nacht?

Es ist nicht der Mundschutz, der mir den Atem raubt,
es ist nicht das Durchfeiern, das meine Nächte klaut.

Es ist ein Es, es ist ein Das,
es ist ein Wort ohne Geschlecht.
Es ist das Böse, es ist das Schlechte:

Es ist das Covid-Virus in den Verteilerzentren,
das viele Ungeziefer in den Matratzenlagern,
das schimmlige Quartier der Spargel—ernte–helfer.
Es ist das „neue Arbeitsverhältnis“, flexibel sprich — prekär,
das Kündigungspapier oder das Hamsterrad,
Einbahnweg zum Burn-Out oder zum Herzinfarkt.

Es ist das viele Fett in unsrem Billigessen,
bis zum Leberkollaps, zum Platzen der Aorta,
das Nitrat im Salat und in meinem Trinkwasser.

Es ist das AID-Syndrom
und das Tier namens Krebs.
Es ist das Essverhalten, gestört,
Mager- und Ess-Brech-Sucht,
das Es, das Unbewusste,
das Biest im Mädchenkörper, das flüstert:
„Du bist nie dünn, nie gut, nie cool genug“.
Es ist das Ungeheuer, unsagbares Tabu,
das nachts das Kind heimsucht,
Vater, Onkel, Nachbar,
und manchmal auch Bruder.

Es ist das Plastik und das Zellophan
In allen Meeren, allen Ozeanen.
Es ist das Bienensterben und das Eis—schollen–schmelzen,
das kahl gerodete Amazonasbecken.
Das Erdfeuer, das Ernte und Steppe entflammt,
das auslaufende Öl im Golf von Mexico,
Galicien, Mauritius,
das Giftgas von Bhopal,
das Napalm in Vietnam.

Es ist das Österreich der 1930er Jahre,
das radikal(e) und das banale Böse.
Es ist das Hakenkreuz an der Wand einer Schule,
Das Schild am Parkeingang „für Hunde und für Juden verboten“,
und das Glas Veronal, das Ende Stefan Zweigs.
Und auch das Gestapo-Verhör, das Verdikt Todesstrafe
mit Endstation KZ, Schafott und Scheiterhaufen.
das Inquisitionstribunal und das Hexenverbrennen,
das trojanische Pferd und das Kleid der Medea.

Das Massaker an Tutsi, Armeniern und Rohingya,
Das Massengrab von Liescha oder von Srebrenica.

Es ist das A und O der Bandenkriege und der Familienfehden
Das O von Romeo und das A von Julia
Es ist das A von Angst, das O von Omerta
Camorra, Cosa Nostra
und japanische Mafia.
Das 22er Kaliber der Pariser Vorstadt,
das Gesicht Malalas und das Urteil „Fatwa“
gegen Salman, Sara und gegen Taslima. *

Es ist das negative Ergebnis eines Asylverfahrens,
das nie eingelöste Versprechen eines sehr reichen Landes
das sich zukunftsreich nennt.
Es ist das Mittelmeer, das Hoffnungen ertränkt,
das Flüchtlingslager Moria, gelöscht, in Schutt und Asche.

Und du, du kannst nicht atmen wegen der Covidmaske?

 

* Die SchriftstellerInnen Salman Rushdie, Sara Santanda und Taslima Nasrin.