« Von Honig und Absinth », Roman, edition pen, Löcker Verlag, 2019
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Cimetière marin
C’est un soir de septembre sur une plage de la presqu’île de Gelibolu, entre Égée et mer de Marmara. J’ai ramassé quelques trésors, des bois flottés, des éclats de marbre vert, rose, blanc et rouge. La chaleur blessante du soleil a laissé place à la caresse du vent. La mer changée, tout à l’heure bleue et vert d’émeraude, est devenue dorée, là où les bancs de sable affleurent la surface. Beauté inégalable de la nature : en lisière des bosquets, la côte creusée à blanc, racines nues des pins maritimes, plantes des dunes ployant au vent, plaques de schiste où de petits bassins retiennent des croûtes de sel, velours du sable, et, livrés au ressac, des blocs énormes de rochers lustrés par la mer. On croirait des animaux marins échoués, des corps de femmes endormies, rondeurs polies par les vagues, brunies, roussies, alanguies, la tête posée sur un bras recourbé, les vagues caressantes dans le creux de l’épaule.
Pas un bateau, pas un cargo. Ici, pas de moteur ni de bruit de la ville. Pas même un chant de muezzin. Un drapeau blanc claque dans le vent.
Dans l’écume frisée marche un vieux couple sur un banc de sable. Encore vêtus de leur lin blanc. Je les ai vus tout à l’heure marcher le long de la plage. Troublante image que ces corps usés, cassés, aux gestes lents, qui semblent s’éloigner déjà vers un ailleurs amer et sombre, m’abandonnant à la vie.
C’était une nuit du mois d’août sur cette plage de la presqu’île de Gallipoli. Ils venaient d’Australie, de France et d’Angleterre. Ils s’appelaient Alec, Timothy ou William. Certains avaient tout juste seize ans et n’avaient jamais voyagé.
À peine jaillis des vagues, ils sont tombés sous la mitraille. Et au matin, la dune dévastée, les arbres calcinés, la mer teintée de sang, des crânes éclatés dans les cratères des bombes, des corps morts rejetés dans les trous des tranchées, le sable dans les plaies, ou livrés au ressac, les vagues caressantes dans le creux de l’épaule.
Tant de morts, sur cette même plage.
Ils s’appelaient Adil, Mustapha ou Sahin.
On dit qu’ils reposent en paix en terre ottomane, loin des cloches d’église et du chant de muezzin.
Ces héros oubliés d’une guerre oubliée, dit la chanson.
Entre les pins, entre les tombes, dit le poème.
[La bataille de Gallipoli, aussi appelée bataille des Dardanelles, a duré du mois d’avril 1915 à janvier 1916 et a coûté la vie à près de 90 000 soldats turcs et à 50 000 chez les Alliés]
Wenn ich an Istanbul denke
[anlässlich des 1. Irene Harand Literaturpreises, 2. Platz, 2019]
Istanbulu dinliyorum,
gözlerim kapalı… [Orhan Veli]
Wenn ich an Istanbul denke,
denke ich an meine Schifffahrten mit dem vapur zum Fischmarkt Üsküdars,
ich spüre den Sommerwind, der wie eine Berührung
durch meine Finger weht
und sehe über dem Bosporus
die mattgewordene Sonne, die den Himmel golden färbt.
Wenn ich an Istanbul denke,
und meine Augenlider senke,
wie im Gedicht von Orhan Veli,
höre ich das Klatschen der Wellen,
die Stimmen der Stadt, ja, ich höre
das Hupen der Autos und das Lachen der Möwen,
das Klirren der Teegläser,
und weit, weit weg,
von den Hügeln Asiens anschwellend,
den ersten Ruf zum Zuhrgebet.
Oder ich höre « Action ! »,
Dreharbeiten bei der Camondotreppe, Aussen, Tag,
und die lachenden Schüler des Sankt-Georg Kollegs in ihren Uniformen, die vom dritten Stockwerk zum Filmteam runter winken.
Ich erinnere mich auch an diese frechen Bengeln mit sonngebräunter Haut und strahlendem Lächeln,
die neben den Fischern das Brückengeländer erklimmen,
um in die Wirbelströmung des Goldenen Horns zu springen.
Ich rieche das Treiböl und den heißen Asphalt.
Wenn ich an Istanbul denke,
sehe ich die Bosporusbrücke, erleuchtet nachts
wie ein Casino von Las Vegas,
das die Farben ständig wechselt,
mal rot, mal blau, mal violett.
Und wenn später der Mond sich im Meer silbern spiegelt,
weiß ich den Namen noch des Wassers wie versiegelt:
Yakamoz heißt das Wort für das Phosphoreszieren.
Wenn ich an Istanbul denke,
schmecke ich auch die Weinblätter und das Tahinıbrot,
die uns in Kuzguncuk am asiatischen Ufer
drei Schwestern geschenkt hatten,
nachdem der Muezzin vier Mal gerufen hatte,
und ich rieche den Kimyon, den Zimt, den Kardamom.
Wenn ich an Istanbul denke,
höre ich noch durch mein Fenster am Ende der Sackgasse
das Echo fröhlicher Kinderspiele,
Wurfkreisel, Ball im Käfig, Kantenspringen oder Gänsedieb.
Ich rieche den Feigenbaum und den Duft nach Jasmin,
Rose und Rosmarin.
Und ich erinnere mich an diese Silbertaube,
die mich manchmal besuchte,
das Rascheln ihrer Flügel und ihr vertrautes Gurren,
da, auf dem Fenstersims, fast wie ein Katzenschnurren.
Wenn ich an Istanbul denke,
denke ich an Gezi Park
und höre die ersten Takte des İstiklâl Marşı,
ich sehe die Graffitis çapulcu, Erdo-gone!
Keine Sorge, Mama, ich bin nur im Schlepptau.
Ich sehe duran adam, passiver Widerstand,
und eine Frau in Rot, Sommerkleid und Tote Bag,
Symbol für diesen Kampf, ihr Name ist Ceyda.
Wir tragen Taucherbrillen, manche eine Guy-Fawkes-Maske,
wir skandieren direm, Widerstand, résistance
und klopfen auf Kochtöpfe mit kaputten Holzlöffeln.
Wenn ich an Istanbul denke,
höre ich die Hubschrauber über dem Taksim Platz
und rieche das Tränengas.
Ich sehe die Gesichter mit den verätzten Augen,
die Gasgranatenschwaden über den Barrikaden,
und ein Panzerfahrzeug, das seine Gasgranate
schießt
bis in den Innenhof des deutschen Krankenhauses.
Ich weiß noch die Kopfschüsse,
Platzwunden,
Schädeltrauma,
und die verbrannten Hände durch Tränengaspatronen,
ich höre noch die Schreie,
ich spüre noch die Angst,
ich schmecke noch in der Kehle das Brennen des Biber Gazı.
Wenn ich an Istanbul denke,
sehne ich mich nach dem Wind,
der wie eine Berührung durch meine Finger weht.
Die Tränen ihrer Wangen
Großaufnahme auf einen gusseisernen Kochtopf auf offener Flamme, in dem ghee langsam schmilzt und durchsichtig wird. Eine Frauenhand streut Gewürze in die goldgelbe Flüssigkeit. Wir erkennen Nelken, Zimtstangen und Anissterne. Es fängt an zu brutzeln, zu zischen und zu knistern. Die rechte Hand rührt um, während die linke weiter Gewürze einstreut. Wir sehen mit der Köchin, wie die grünen Kardamomkapseln explodieren, die kugelrunden schwarzen Senfsamen springen, die kleingehackten Ingwerstücke sich verfärben und die roten Chilischoten sich langsam aufblähen. Wir riechen fast den Duft der Mischung. Scharf und süßlich zugleich. Schließlich färbt das Kurkumapulver die ganze Mischung gelb.
In der Ferne vernehmen wir Musik, seltsame Klänge, langsam aufsteigende Töne einer Oboe, die sich bald mit dem Zischen in der Pfanne vermischen. Nun werden die Gewürze mit Bouillon übergossen, weißer Dampf steigt hoch, wird undurchdringlich, das Bild wird langsam unscharf und verwandelt sich in eine blassere Weihrauchwolke. Während dieser Bildfolge ist die Melodie zu einer schrillen lang anhaltenden Klage geworden. Ein tieferes Blasinstrument kommt dazu, beginnt um einen Ton zu kreisen, hält ihn fieberhaft und lässt diese klägliche Note wieder und wieder erklingen. Die Weihrauchwolke verflüchtigt sich nach und nach. Nun greifen tablas den Rhythmus auf, wirbeln und pochen wie ein Herzschlag. Die Musik wird immer lauter, das Tempo immer schneller, als ob sich die Instrumente einen Wettkampf liefern würden, und durch den sich auflösenden Rauch geht das unscharfe Bild des Kochtopfes weich in ein anderes über.
Ein kleines Mädchen sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Diwan, perlweiße Seide auf dem Kopf drapiert. Rundherum sind indische Frauen in farbenprächtigen Kleidern, Gold und Silber, Rubine und Diamanten, Smaragde und Perlen. Die Steine werfen Funken im Raum, und das Babel ihrer Stimmen übertönt beinahe die Musik. Nur eine sitzt einsam und schweigend. Angst und Müdigkeit in ihren feuchten Augen. So schwarz die Augen, so schwarz die Haare. Ihre Lippen zwei Rosenblättern gleich. Ein goldener Ring ziert ihre kleine Nase und eine rote tika ihre Stirn. Ihre Hände und Füße sind mit Henna geschmückt. Das Mädchen ist versprochen. Mit dreizehn Jahren ihre Kindheit zu Ende. Hilfloses Spielzeug in den Händen reicher ranis und rajahs. Vielleicht war die letzte Ernte schlecht, oder der Vater hat keine Söhne bekommen. Eine arrangierte Hochzeit als einzige Überlebenschance. Selbst die Tränen ihrer Wangen werden nichts erlangen. Den Bräutigam hat sie einmal gesehen, als die Ehe besiegelt wurde. Es heißt, er sei erfahren und kräftig. Er ist über fünfzig und hat schon drei Frauen.
Armes, kleines indisches Mädchen, ihrem Schicksal ausgeliefert. Trotz glücksbringendem Goldschmuck, trotz festlichem Hochzeitsessen wird sie vielleicht kaum mehr als ein Jahr leben, die Geburt ihres ersten Kindes nicht überleben, oder an einem Unfall oder Verbrennungen sterben, Racheakt der Schwiegerfamilie. Bloßes Auslöschen der Lampe im Morgenlicht.
Und während das Brautpaar das heilige Feuer siebenmal umkreist, wird über der Szene die laute Ragamusik weiterspielen, aufdringlich, betäubend und schmerzend.
Aufschrift « BOMBAY PORT TRUST ». Tag, Sommer. Der Hafen von Bombay. Es wimmelt von Menschen, vor allem Inder mit bunten Turbanen, Kofferträger, Eselskarren, ein scheinbar ungeordnetes Treiben. Diese zeitlose Szene kann durch die Anwesenheit einiger Automobile in die zwanziger Jahre datiert werden. Ein großer Ozeandampfer legt an. Die Gangway wird heruntergelassen und von Schauermännern mit Tauen am Kai befestigt. Eine Fanfare spielt einen englischen Walzer. Die Passagiere warten ungeduldig und strahlend an der Reling, bis sie ans Land können. Die Meeresluft weht durch die Kinderhaare und die hellen Frauenkleider.
Ein schwarzer Ford, Modell T, wartet auf die Familie. Den Mädchen werden safranfarbene Blumenkränze um den Hals gehängt. « Welcome to India! » Amrita lacht. Auf der schleppenden Fahrt durch die Stadt muss die kleine Indira die Augen zu machen, sie fürchtet sich: der Lärm, die hageren sonnengebrannten Rikschamänner, die bloß in ein weißes Leintuch gekleidet sind, ein Affe auf dem Autodach, der seine Zähne zeigt, die Kobras, die sich nach der Musik der Flöte bewegen, der Gestank nach Fisch und nach Kloake. Amrita lacht. Sie sieht die dunklen Gesichter der Kinder, die bunten Farben der Saris und erkennt das Indien ihres Vaters, das Indien der Gedichte und der Miniaturen, alles ist da: die Männer, ihre Hüften unvorstellbar schmal, ihre Hautfarbe silbern, ihre Brauen geschwungen wie ein Bogen, die Frauen schön auch ohne Schuhe, ohne Schminke, ohne Schmuck. Sie will alles einfangen, alles zeichnen, mit den neuen Farben, die sie auf dem Schiff zum Geburtstag bekommen hat, die Wasserverkäufer, die Kokosnusshändler, hier diesen hockenden Mann, der sich beim Brunnen wäscht, da diese zwei Bettelmönche mit den rollenden Augen, die Stirn mit oranger Farbe geschminkt, der Körper mit Asche bedeckt. Ein Elefant mitten auf der Straße bremst den ganzen Verkehr. Der Ford fährt langsam an einem Markt vorbei. Eine alte Frau sitzt auf dem Boden mit ein paar Kräutersträußen zum Verkauf, ihre Handflächen sind rot gefärbt, daneben ein Kind mit einer Handvoll Mandeln in einem Korb, eine magere Kuh stiehlt einen Bund Petersilie, Amrita hält alles fest; buntes Gemüse, Früchte und Knollen, wie sie sie noch nie gesehen hat, farbprächtige Gewürzpulver, die zu kunstvollen Pyramiden aufgetürmt sind. So viele Rottöne kann sie nicht einmal benennen! Sie kennt Blutrot, Kirsche, Ziegelrot, Mohnfarbe, Feuerrot, Paprika, ach ja, Purpur, Rubin, und in ihrer Farbpalette gibt es noch Krapprot, Zinnober und Amarant … und diese Blumen da, so seltsam … ihr Vater hat von einer Blume erzählt, deren Duft so stark ist, dass man ohnmächtig wird.
Bildschnitt.
Neue Aufschrift GREAT TRANS INDIA RAILWAY. Der Zug verlässt die Victoria Station. Wie bei der Autofahrt, kein Blick ins Innere des Wagens. Die Landschaft rollt am linken Fenster vorbei. Der Zug fährt lange am Meer entlang, schwarze Felsen, bald untergehende Sonne. Amrita sieht die Schönheit der indischen Frauen, die nackten Kinder, die kleinen Tempel, die Elefantenstatuen. Bald kommen die Felder und die Dörfer. Lehmhäuser, Stampferde. Sie sieht die seit Tausenden von Jahren gleichen Gesten, das Schöpfen des Wassers aus einem Brunnen, das Formen der Kuhfladen und Klatschen zum Trocknen an die Hüttenwand. In den Bahnhöfen, wo sie Halt machen, laufen Kinder in Schuluniformen am Bahnsteig und schreien den Passagieren « Namasté! » zu. Ein breiter Fluss wird überquert: Große, weiße Tücher trocknen in der Abendsonne, an den Ghâts stehen Menschen bis zur Taille im Wasser und vollziehen ihre Rituale, weiter weg baden Elefanten. Hier und da bilden am Straßenrand ein paar Steine einen Altar, Räucherstäbchen und Kerzen, Blumenblätter und Früchtegaben. In der Ferne sind die schlanken Minarette einer Moschee zu sehen, und in den Feldern die bunten Farbflecken der Saris. Hier tragen die Frauen große Ohrringe und einen Schmuck im linken Nasenflügel.
Die Erde wird ockergelb und dürr. Die Bäche ausgetrocknet. Die weite Fläche der Felder verwandelt sich langsam in eine Gebirgslandschaft. In der Ferne die verschneiten Gipfel des Himalaja. Eine weiße Stadt hängt wie ein Bienenschwarm am Bergrücken.
Shimla, Queen of Hills.
Freisprechanlage / mode mains libres
Sechs Gedichte von Fabjan Hafner ins Französische übersetzt
aus Freisprechanlage (…), Drava, Klagenfurt/Celovec, 2001.
SPLEEN DE MINUIT
Le visage voilé
d’un tissu
de neige vierge.
L’âme cachée
au tréfonds de
la tête.
Calme,
trop calme,
je ferme
mes yeux exténués.
JE SUIS PLUS POÉSIE QUE
LA SOMME DE MES POÈMES
Un visage
dans la main,
moi,
engourdi par la faim,
transi de solitude,
moi,
plus qu’un soupçon,
une preuve.
Moi,
pas vous.
Moi,
soc et roc,
heur et leurre,
rire et air.
Mon salut,
moi.
Moi, l’idée :
« Moi, le sens ! »
Pas le sens. Non-
sens, ce sens, pas
le contraire. Je suis
les deux, toi et moi,
plus qu’un simple
Nous.
ARRÊTER
Non de non,
à aucun prix,
ni pour le pire,
ni le meilleur,
tôt ou tard,
il te faudra,
sans propre volonté,
que tu le veuilles ou non,
à ton corps défendant,
forcément
arrêter.
TU CESSES,
dans ce café désert,
de respirer
les nuages de fumée
confinés,
tu ne finis pas
ton café refroidi,
la dernière,
si amère
gorgée,
tu cesses
de rêver
de ciel bleu,
d’îles blanches
au milieu des montagnes,
tu cesses
d’en finir.
SI L’ON POUVAIT RETENIR LES CARESSES
hors de notre mémoire
ou de leur souvenir,
se les approprier,
comme si notre corps les avait
absorbées,
et s’il était possible, une fois imprégné,
d’être à jamais
en état de caresses,
ce reste insaisissable qui frétille
sans relâche comme un appât
s’évanouirait-il ?
COMME C’ÉTAIT ET SERA ET N’EST PAS
I
Avec la neige
je suis tombé.
Avec elle
je fonds.
J’ai consigné
ce qui n’a pas eu lieu.
II
Dans une poignée
de nuit chaude
je ne décortique
rien.
Dans le silence
je me tais.
III
Le ruban entre deux jours
est un fil, plus fin
qu’un boyau de porc,
la grande corde.
C’est elle que je caresse,
sans le savoir.
IV
Dans l’obscur luisent
des yeux noirs.
Sur tes paupières
je cueille un film,
la crème du
lait coagulé.
V
Pour l’heure je ne fais que
te regarder.
Mais je vais te
recouvrir de feuilles,
à t’en couper
le souffle.
VI
Cesse de t’ébahir
ou tu finiras ahuri.
Tu as trop longtemps
attendu le printemps.
C’est pour ça qu’à présent
il neige au mois de mai.
VII
Je me décompose en phrases simples,
propositions indépendantes.
Ce que l’on peut y
lire (et plus encore),
on peut le lire (et mieux encore)
dans ma main.
Lichtspiele
(Auszug aus dem Roman « Nebel und Nacht », publiziert in mosaikzeitschrift.at und in Words&Worlds)
[Juni 1944, Paris-Aix mit dem Fahrrad]
Tiefblaue Nacht. Die Reifen surren auf dem feuchten Asphalt. Du bist nicht schläfrig, ganz wach vor Anstrengung, wachsam vor Angst. Du nimmst alle Geräusche, alle Düfte wahr: die nach Honig duftenden Spiräen, das Flattern einer Fledermaus, die feuchte Erde und das Summen des Dynamos. Du denkst an die Kinder, die du bald wiedersehen wirst. An ihre glänzenden Augen, wenn sie die Glaskugel sehen werden. Du denkst an diesen Koffer auf deinem Gepäcksträger. Was wohl darinnen sein mag? Hinter dir plötzlich ein Auto. Es wird nicht langsamer, es hupt und überholt dich, es fährt vorbei und davon. Wie ein Blitz aus Furcht und Schrecken. Du bleibst allein zurück im schmalen Licht deines Scheinwerfers. Es ist das Herz Frankreichs, hügelig und saftig grün. Die Wege und Felder sind durch gewundene Steinmauern getrennt. Die Tage sind diese ersten warmen Frühlingstage, noch vor der Hitze des Sommers, Anfang Juni vielleicht. Gestern hat es geregnet, die Gräben sind getränkt, die Weiden in Seen verwandelt. Der Farn ist dankbar. Es überkommt dich sehr langsam. Zuerst ist es nur ein Beben der Luft, dann siehst du drei kleine gelbe Punkte. Oder sind es vier? Motorräder oder Autos? Du schaltest den Dynamo aus und wirfst dich in einen Graben, hinter eine Mauer. Die Sachen im Koffer haben gescheppert. Dir bangt. Es dauert Minuten, Stunden, eine Ewigkeit. Du liegst im Dreck, in der Dämmerung, das Gesicht mit Kot bespritzt. Durchhalten. Keine Zigarette. Keine Glut, kein Rauch. Am Mittelfinger den flüchtigen Tabakgeruch schnuppern. Bloss nicht an die nassen Schuhe denken, an die angeschlagenen Knien. Das Warten ist schmerzhaft. Schwer der Kopf. Du denkst an die Glaskugel in deinem Rucksack. Der Eifelturm ist sicher ganz verschneit. Blendender Blitzstrahl, betäubendes Rattern, Todesangst. Und dann die Ruhe. Unheimliche Ruhe. Da zündest du dir eine Zigarette an und beginnst, die Schuhe schwergesogen, das Rad die Mauer entlang zu schieben. Über einen Feldweg erreichst du einen menschenleeren Weiler. Da ist das Ortsschild, da ist die Steinbrücke über dem Bach, dieser rauschenden Schlammstrasse. Und da der Bauernhof. Es ist ein Steinhaus mit einem Schieferdach und einem Feigenbaum vor dem Eingang. Du kennst die Leute nicht, aber du weisst, dass du angekommen bist. Der bellende Hund, die offene Tür, die ausgemachte Parole. Die Bauernfamilie sitzt noch am Abendtisch bei gleissendem Licht. Es gibt noch heisse Suppe. Man macht dir eine Omelette, du bekommst ein Glas Wein. Du trocknest deine Schuhe am Kamin, der Koffer wird geöffnet. Stempel, Siegel, Stampiglien, Farbkissen, Prägeeisen, Siegellackstifte. Und unausgefüllte Ausweise, Urkunden, Formulare. Auftrag erfüllt. Du wirst das Fahrrad verstecken, in der Scheune schlafen. Am nächsten Tag geht es weiter, heiteren Gemütes. Du wirst mit dem ersten Sonnenstrahl aufstehen, am langen Eichentisch noch einen echten Kaffee nehmen, und eine grosse Scheibe Brot mit einer Spur Honig. Sanft wie die Morgenröte.
!stanDbul !
Frauen wählet!
mot cœur trame
Poèmes de Dorothea Nürnberg traduits de l’allemand, extraits de herzwortweben (Ibera, Wien, 2017) *
trace de questions
1
paroles
perdues
dans la neige
fonte
du sens
lac de signes
attente
dans les transes
silence
vibrant
cristal
paroles astrales
souffle d’étoiles
2
des chants
de cobalt et lapis
tombent
vers le ciel
mots dansants
cherchent
forme
virevoltes
roses
fusent
vers d’envoi
en vert
épi d’été
transi de lumière
3
point
du jour
gris
quête
d’un mot
délivrance
mer de questions
dans l’ancre
du silence
sable
ombre du doute
puits s’ouvrant
sur la raison
abysses
éclipse de rayon
quand montera
la marée
de clarté ?
4
grappes
fermentent
lune bleue
ramée nocturne
jette
ombre
aile de lune
se dérobe
tourment
plus doux
des pensées
quand éclosent
les roses
5
les jours
fondent
l’attente
suspendent
chant du vent
la flûte d’orphée
tresse
l’osier
est-ce que le thrace
affole
les lucioles ?
6
tramer
des mailles
de paix
grand chariot
déchire
le bruit
des étoiles
l’éclat du cœur
tue
la lumière
silence tramé de mailles
vide d’appel
7
ailes noires
et murmure
de jours lointains
jeu de paroles
sur
plumes
de corbeau
oiseaux
dansant
plongée
dans le poème
8
paroles
tissées
de nacre
et de verre
éclats
tremblant
des ailes
rai de lumière
teinte
la houle
l’ourlet des mots
en perle
roule
l’ourlet des bris
perdure
9
symphonie
en vol ramé
l’onde inonde
doucement
la vie
elle ne brise
pas un mot
pas un monde
danse
pieds nus
sans appui
plus bas
bruissent les sons
sur les cordes
sphères
et strophes inondent
le monde
décompose
en majeur
danse
en mineur
le cœur
solfie
la réponse
plus lente
bat
la vie
rythme
danse
monde
10
mots
créés
tournés
ourlés
sens
inversé
mots
guérison
inondant
le monde
mot vécu
rompu
décharné
desséché
sens
dénié
mots malades
cherchent
remède
froissent
blessent
rongent
le monde
mot
crée
monde
monde malade
brèche du cœur
11
les jours
suspendent
la question
souffle coupé
brèche sombre
germe sillon
ensable la raison
tarit le cœur
épines
saignent
les ancêtres
colère
vibrant
douleur
45
baiser de nuages
les fées du vent gonflent la mousse
des cœurs de brume se pourchassent
voiles en dentelle et cheveux d’argent
averse tropicale trouant la terre créole
nuage du désert et ses châteaux de sable
nuage de l’été étincelant d’étoiles
bouche ardente peignant un incendie des nues
nuages de baisers qui reflètent le ciel
soyeux cirrus bruissant au cœur
nuages de banquise formant lune hivernale
nuage blanc polaire qui vire vers le bleu
et au saut du levant
nuages moutonnés
un ruban de désir
une femme nuée
46
vent de feu
cendre noire sur terre rouge
mosaïques traversent le temps
souliers de fleurs voile diaphane
son de harpe élysée
des chants résonnent dans de lointains espaces
la poésie rallume une rime ancienne
coupes dorées
écrins d’amour
déversent des divinités
et danse une bacchante
en ronde flamboyante
le vent gonfle la mer
la fraîcheur baigne les montagnes
et un cratère s’ouvre sur la lumière
feu mouvant
soleils éclatés
la terre jette
son cœur
dans l’univers
47
temple ancien
écueils marins
fleurs de frangipanier
dispersées en couronne
les singes se disputent
lait de coco et fruits
fleurs chancèlent vent de mer
dans le soleil
des amoureux s’embrasent
corps de pierre
tendus vers le zénith
sur les pieds de krishna
naissent des flammes bleues
des rubans de safran
sacrent le cœur et l’être
sens pétri de parfum et de feu
la fumée de lotus
estompe
de la pierre
les contours
48
flocons de neige fondent
en rouge et vert
ailes de perroquet
cherchent lumière
cage ouverte
barreaux écartés
et la liberté
chante
un rêve jaune
ailes bruissantes aux fenêtres
blutent l’espace
le ciel tisse
de gris le monde
la neige jette un voile
vibre le cristal
la brume prend
le rêve dans les glaces
les perroquets s’enfuient
s’échappent des fenêtres
le bec froid
et les plumes mouillées
tremblantes
liberté envol
ailes déployées
soleils multicolores
les plumes pleurent
et le cœur vole en nuée
49
soleil aztèque
plumage du cœur
roues solaires
gravitent autour du monde
dans la jungle veillent des temples
chants de serpents font résonner les temps
dieu de plumes
brûle de lumière
et vénus irradie la nuit
l’oiseau de quetzal annonce l’aurore
rêves mouchetés de fleurs de rubis
étoile du matin cueille plume de soleil
source du temple traverse le cœur
racines profondes
guérissant les crevasses du passé
des serpents émeraude
se prennent pour des branches
50
arbre de vie trame la soie
une porte en marbre se brise
chrysalides lacent des fils
fruits rouges font tomber l’arbre
mains de femmes tressent la vie
le paradis bourgeonne
et éclaire la lampe
l’or et l’étain
cherchent un cadre
l’amour blanc
tisse un cocon
* traduits et publiés avec l’autorisation de l’auteure
Indienrot
(Romanauszug, erschienen in LICHTUNGEN – Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik, Heft 143 / XXXVI. Jg., S. 56-61.)
Am 31. Juli 1948, in einer noblen Villa der indischen Stadt Shimla, bringt sich eine Ungarin namens Marie Antoinette mit der Pistole ihres Mannes, eines indischen Sikhs, um. In einem Film würde das tragische Ereignis ganz am Ende stattfinden. Auch die Details würden wir nicht gleich erfahren. So wie ich dieser Geschichte Tag für Tag, Spur für Spur nachgegangen bin. Am Anfang des Films, keine Markierung von Zeit und Ort. Nur: Außen, Tag. Tropischer Regen. Totale auf eine Villa an einem Berghang, während Titel und credits eingeblendet werden. Grüne Dächer, verzierte Erkerfenster, von einer Kuppel überragt, kleinen Mausoleen gleich. Im Garten sind Föhren, Farnbäume und Rhododendren zu sehen. Kenner würden an der Architektur und der Vegetation die Gegend erraten können. In der nächsten Szene schwenkt die Kamera durch einen Salon. Schwere Vorhänge und Drapierungen, an den Wänden Ölbilder, gerahmte Photos und indische Miniaturen; ein kleiner Schreibtisch mit Jugendstil-Lampe. Viele Bücher und Papiere liegen herum, eine Lupe, das kolorierte Photo von zwei kleinen Mädchen mit Frisuren und Kopfschmuck der zwanziger Jahre. Wir vernehmen das Brummen eines Ventilators, Klirren von Geschirr. Die Kamera schwenkt weiter durch das Zimmer. Zoom auf einen niedrigen achteckigen Tisch aus geschnitztem Zedernholz. Detaileinstellung: dunkle Männerhände gießen Tee in eine Porzellantasse. Wir sehen, dass da jemand sitzt. Ein seidener Stoff, feine Frauenschuhe. Eine langsame Kamerarückfahrt zeigt eine weiße, elegant gekleidete Frau; sie ist älter, deutlich über sechzig. Sie sitzt völlig zusammengesunken im Sessel, ihr Haar vom Ventilator leicht verweht, gedankenverloren, der Blick wässrig, das Gesicht zerfurcht. Der Mann, offensichtlich ein Diener, trägt eine indische Tracht, weiße Jodhpurs, bandgalla und ein rotes Kopftuch. Dies würde beim Zuschauer den Eindruck bestätigen, dass wir uns irgendwo in Indien befinden.
Die Frau würde sagen: – Machen Sie bitte die Vorhänge zu und lassen Sie mich alleine.
Sie würde vielleicht aufstehen und aus einer Schublade, in der wir eine Pistole erkennen könnten, Briefe herausholen. Sie würde einen Brief aussuchen und entfalten, und eine Erzählstimme würde beginnen zu sprechen. Nein, noch würde sie nicht aufstehen, sondern nur ihren Blick durch den Raum schweifen lassen. Wir folgen dem Blick auf ein Ölbild mit einem roten Terrakotta Elefanten, auf das Porträt eines jungen Mannes, auf das kolorierte Photo mit den kleinen Mädchen. Kinderlachen würde eine Rückblende ankündigen. Überblendung des Photos. Und eine Einblendung würde erscheinen: Budapest, 34 Jahre zuvor.
INNEN. TAG. Großeinstellung auf einen schweren roten Samtvorhang. Wir vernehmen Kinderlachen. Der Vorhang bewegt sich.
Eine Kinderstimme flüstert: – Das darfst du bestimmt nicht.
Eine andere Mädchenstimme: – Ich mache, was ich will.
Aus dem Vorhang treten zwei kleine schwarzhaarige Mädchen mit Frisuren der zwanziger Jahre hervor, die größere mit dem dunkleren Teint hat einen Rötelstift in der Hand. Bevor der Vorhang wieder fällt, erkennen wir an der Wand die Rötelzeichnung eines kleinen Elefanten. Totale auf einen üppig ausgestatteten Jugendstil-Salon. Die zwei Mädchen tragen weiße Sommerkleider aus Lochstickerei. Als sie weglaufen, sehen wir, dass die Größere barfuß ist. Ranfahrt: Die Kamera folgt ihnen durch den Salon bis in den Gang, wo sie vor einer Tür stehen bleiben. Wir hören das Tippen einer mechanischen Schreibmaschine. Die Mädchen lauschen durch den Türspalt.
Das Tippen hört auf, und eine sanfte Männerstimme sagt:
– Kommt rein, kleine Mäuse!
Die Tür geht auf. Kameraschwenk durch den Raum. Ein Arbeitszimmer mit vielen Bücherregalen und unterschiedlichen Geräten: einem Linsenfernrohr, einem Teleskop auf einem Stativ, verschiedenen Photoapparaten, einem Stereoskop, einer Faltenbalgkamera… Am Schreibtisch sitzt ein bärtiger Mann mit Turban an der Schreibmaschine. Vor ihm liegen alte Bücher und Papiere. Das große Mädchen stürzt sich auf den Schoß ihres Vaters, während seine kleine Schwester von Instrument zu Instrument trippelt – sie weiß offensichtlich, dass sie sie nicht berühren darf –, vorsichtig auf einen vor dem Fenster stehenden Stuhl steigt und sich über das davor stehende Teleskop bückt.
Während die Kamera zum Schreibtisch schwenkt, hören wir sie sprechen:
– Bapu, kann man damit bis Indien sehen?
Beide Mädchen kichern. Nahe Einstellung auf den Vater mit dem Mädchen am Schoß. Der Mann ist um die Fünfzig, seine Haut ist gegerbt, sein langer Bart und sein Turban lassen ihn zwar ernst schauen, aber sein Lächeln und seine Augen drücken Gutmütigkeit und Klugheit aus. Detaileinstellung auf seine Hände: Sie liegen ruhig auf dem Schreibtisch. Dazwischen spielen zwei kleine Kinderhände mit einer Lupe. Durch die Lupe sehen wir abwechselnd persische Schriftzüge und eine Illustration, eine indische Miniatur. Dann zeichnet das Mädchen mit dem Zeigefinger Buchstaben nach, das lachende Gesicht eines tā, die Wellen eines schīn, die Schlaufe eines ghāf und fragt:
– Bapu, Duci, was steht denn da geschrieben?
Der weißbärtige Mann fängt an zu lesen und zu übersetzen:
– Ich und die Kerze … die Nachtigall und der Falter … wir alle sind gleich; weißt du, es ist ein Gedicht der ältesten Tochter des Mogul-Kaisers Aurangzeb. Sie hieß Sibunnisa Machfi.
Die Off-Stimme der Kleine unterbricht:
– Ich kann einen roten Elefanten sehen!
Die Mädchen kichern erneut. Die Große zur Ablenkung:
– Bapu, Duci, erzähl uns von Indien, wie das letzte Mal, von deiner Hochzeit mit Mama!
Die Kleine setzt fort, stellt eine Frage nach der anderen, wie ein Wasserfall, ohne auf die Antworten zu warten:
– Du Bapu, werden wir einmal hin, nach Indien? Nehmen wir das alles mit? Die Geräte und auch das Klavier? Amri sagt, dass es dort rote Elefanten gibt, stimmt es? Sag Bapu, wie ist es in Indien?
Der Vater blickt nun ins Leere. Die Kamera schwenkt durch das Zimmer. Zum Bücherregal, zur Faltenbalgkamera, zum Teleskop und zum Fenster. Fixe Einstellung aufs Fenster.
Der Vater im Off:
– In Indien ist alles … rot.
Langsame Kamerazufahrt durch das Fenster. Die Hügel Budapests, die Donau. Kameraschwenk am Fluss entlang. Überblendung auf eine nordindische Flusslandschaft mit Wäscherinnen in korallenfarbigen Saris. Detaileinstellung auf ein wunderschönes Frauengesicht mit Zinnoberpulver an der Stirn. Der purpurne Seidenstoff, der ihren Kopf umhüllt schimmert im Abendlicht. Und die sanfte Stimme des Vaters sagt aus dem Off:
– Ja, in Indien ist alles rot!
Ende der Sequenz.
Aufschrift « BOMBAY PORT TRUST ». Tag, Sommer. Der Hafen von Bombay. Es wimmelt von Menschen, vor allem Inder mit bunten Turbanen, Kofferträger, Eselskarren, ein scheinbar ungeordnetes Treiben. Diese zeitlose Szene kann durch die Anwesenheit einiger Automobile in die zwanziger Jahre datiert werden. Ein großer Ozeandampfer legt an. Die Gangway wird heruntergelassen und von Schauermännern mit Tauen am Kai befestigt. Eine Fanfare spielt einen englischen Walzer. Die Passagiere warten ungeduldig und strahlend an der Reling, bis sie ans Land können. Die Meeresluft weht durch die Kinderhaare und die hellen Frauenkleider.
Ein schwarzer Ford, Modell T, wartet auf die Familie. Den Mädchen werden safranfarbene Blumenkränze um den Hals gehängt. « Welcome to India! » Amrita lacht. Auf der schleppenden Fahrt durch die Stadt muss die kleine Indira die Augen zu machen, sie fürchtet sich: der Lärm, die hageren sonnengebrannten Rikschamänner, die bloß in ein weißes Leintuch gekleidet sind, ein Affe auf dem Autodach, der seine Zähne zeigt, die Kobras, die sich nach der Musik der Flöte bewegen, der Gestank nach Fisch und nach Kloake. Amrita lacht. Sie sieht die dunklen Gesichter der Kinder, die bunten Farben der Saris und erkennt das Indien ihres Vaters, das Indien der Gedichte und der Miniaturen, alles ist da: die Männer, ihre Hüften unvorstellbar schmal, ihre Hautfarbe silbern, ihre Brauen geschwungen wie ein Bogen, die Frauen schön auch ohne Schuhe, ohne Schminke, ohne Schmuck. Sie will alles einfangen, alles zeichnen, mit den neuen Farben, die sie auf dem Schiff zum Geburtstag bekommen hat, die Wasserverkäufer, die Kokosnusshändler, hier diesen hockenden Mann, der sich beim Brunnen wäscht, da diese zwei Bettelmönche mit den rollenden Augen, die Stirn mit oranger Farbe geschminkt, der Körper mit Asche bedeckt. Ein Elefant mitten auf der Straße bremst den ganzen Verkehr. Der Ford fährt langsam an einem Markt vorbei. Eine alte Frau sitzt auf dem Boden mit ein paar Kräutersträußen zum Verkauf, ihre Handflächen sind rot gefärbt, daneben ein Kind mit einer Handvoll Mandeln in einem Korb, eine magere Kuh stiehlt einen Bund Petersilie, Amrita hält alles fest; buntes Gemüse, Früchte und Knollen, wie sie sie noch nie gesehen hat, farbprächtige Gewürzpulver, die zu kunstvollen Pyramiden aufgetürmt sind. So viele Rottöne kann sie nicht einmal benennen! Sie kennt Blutrot, Kirsche, Ziegelrot, Mohnfarbe, Feuerrot, Paprika, ach ja, Purpur, Rubin, und in ihrer Farbpalette gibt es noch Krapprot, Zinnober und Amarant … und diese Blumen da, so seltsam … ihr Vater hat von einer Blume erzählt, deren Duft so stark ist, dass man ohnmächtig wird.
Bildschnitt.
Neue Aufschrift GREAT TRANS INDIA RAILWAY. Der Zug verlässt die Victoria Station. Wie bei der Autofahrt, kein Blick ins Innere des Wagens. Die Landschaft rollt am linken Fenster vorbei. Der Zug fährt lange am Meer entlang, schwarze Felsen, bald untergehende Sonne. Amrita sieht die Schönheit der indischen Frauen, die nackten Kinder, die kleinen Tempel, die Elefantenstatuen. Bald kommen die Felder und die Dörfer. Lehmhäuser, Stampferde. Sie sieht die seit Tausenden von Jahren gleichen Gesten, das Schöpfen des Wassers aus einem Brunnen, das Formen der Kuhfladen und Klatschen zum Trocknen an die Hüttenwand. In den Bahnhöfen, wo sie Halt machen, laufen Kinder in Schuluniformen am Bahnsteig und schreien den Passagieren « Namasté! » zu. Ein breiter Fluss wird überquert: Große, weiße Tücher trocknen in der Abendsonne, an den Ghâts stehen Menschen bis zur Taille im Wasser und vollziehen ihre Rituale, weiter weg baden Elefanten. Hier und da bilden am Straßenrand ein paar Steine einen Altar, Räucherstäbchen und Kerzen, Blumenblätter und Früchtegaben. In der Ferne sind die schlanken Minarette einer Moschee zu sehen, und in den Feldern die bunten Farbflecken der Saris. Hier tragen die Frauen große Ohrringe und einen Schmuck im linken Nasenflügel.
Die Erde wird ockergelb und dürr. Die Bäche ausgetrocknet. Die weite Fläche der Felder verwandelt sich langsam in eine Gebirgslandschaft. In der Ferne die verschneiten Gipfel des Himalaja. Eine weiße Stadt hängt wie ein Bienenschwarm am Bergrücken. Shimla, Queen of Hills.
Großaufnahme auf einen gusseisernen Kochtopf auf offener Flamme, in dem ghee langsam schmilzt und durchsichtig wird. Eine Frauenhand streut Gewürze in die goldgelbe Flüssigkeit. Wir erkennen Nelken, Zimtstangen und Anissterne. Es fängt an zu brutzeln, zu zischen und zu knistern. Die rechte Hand rührt um, während die linke weiter Gewürze einstreut. Wir sehen mit der Köchin, wie die grünen Kardamomkapseln explodieren, die kugelrunden schwarzen Senfsamen springen, die kleingehackten Ingwerstücke sich verfärben und die roten Chilischoten sich langsam aufblähen. Wir riechen fast den Duft der Mischung. Scharf und süßlich zugleich. Schließlich färbt das Kurkumapulver die ganze Mischung gelb.
In der Ferne vernehmen wir Musik, seltsame Klänge, langsam aufsteigende Töne einer Oboe, die sich bald mit dem Zischen in der Pfanne vermischen. Nun werden die Gewürze mit Bouillon übergossen, weißer Dampf steigt hoch, wird undurchdringlich, das Bild wird langsam unscharf und verwandelt sich in eine blassere Weihrauchwolke. Während dieser Bildfolge ist die Melodie zu einer schrillen lang anhaltenden Klage geworden. Ein tieferes Blasinstrument kommt dazu, beginnt um einen Ton zu kreisen, hält ihn fieberhaft und lässt diese klägliche Note wieder und wieder erklingen. Die Weihrauchwolke verflüchtigt sich nach und nach. Nun greifen tablas den Rhythmus auf, wirbeln und pochen wie ein Herzschlag. Die Musik wird immer lauter, das Tempo immer schneller, als ob sich die Instrumente einen Wettkampf liefern würden, und durch den sich auflösenden Rauch geht das unscharfe Bild des Kochtopfes weich in ein anderes über.
Ein kleines Mädchen sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Diwan, perlweiße Seide auf dem Kopf drapiert. Rundherum sind indische Frauen in farbenprächtigen Kleidern, Gold und Silber, Rubine und Diamanten, Smaragde und Perlen. Die Steine werfen Funken im Raum, und das Babel ihrer Stimmen übertönt beinahe die Musik. Nur eine sitzt einsam und schweigend. Angst und Müdigkeit in ihren feuchten Augen. So schwarz die Augen, so schwarz die Haare. Ihre Lippen zwei Rosenblättern gleich. Ein goldener Ring ziert ihre kleine Nase und eine rote tika ihre Stirn. Ihre Hände und Füße sind mit Henna geschmückt. Das Mädchen ist versprochen. Mit dreizehn Jahren ihre Kindheit zu Ende. Hilfloses Spielzeug in den Händen reicher ranis und rajahs. Vielleicht war die letzte Ernte schlecht, oder der Vater hat keine Söhne bekommen. Eine arrangierte Hochzeit als einzige Überlebenschance. Selbst die Tränen ihrer Wangen werden nichts erlangen. Den Bräutigam hat sie einmal gesehen, als die Ehe besiegelt wurde. Es heißt, er sei erfahren und kräftig. Er ist über fünfzig und hat schon drei Frauen.
Armes, kleines indisches Mädchen, ihrem Schicksal ausgeliefert. Trotz glücksbringendem Goldschmuck, trotz festlichem Hochzeitsessen wird sie vielleicht kaum mehr als ein Jahr leben, die Geburt ihres ersten Kindes nicht überleben, oder an einem Unfall oder Verbrennungen sterben, Racheakt der Schwiegerfamilie. Bloßes Auslöschen der Lampe im Morgenlicht.
Und während das Brautpaar das heilige Feuer siebenmal umkreist, wird über der Szene die laute Ragamusik weiterspielen, aufdringlich, betäubend und schmerzend.
Eine Wiese am Forstrand. Im Hintergrund ein weißer Kirchturm. Am Saum des Waldes ein Planwagen und zwei Zelte. Dazwischen zwei grasende Pferde und ein paar Hühner. Eine Frau sitzt auf einem Schemel im Schatten eines Baumes. Sie trägt ein rotes Kopftuch und bunte Kleidung. Ihre Bluse ist offen und enthüllt den Ansatz ihres Busens. Auf ihrem Schoß, in den Falten ihres Rockes liegt ein gepucktes Baby. Es schläft. Die junge Mutter spinnt Wolle mit einer Handspindel in einer raschen und geschmeidigen Geste und summt dabei eine wehmütige Melodie, die bald von Kinderstimmen überdeckt wird.
Die Kamera schwenkt nach links in Richtung der Kinderstimmen. Wir sehen einen kleinen Buben, der eine Ziege an der Leine führt; zwei kleine blonde Mädchen sitzen in der Wiese neben einem größeren Mädchen, vielleicht zwölf, das mit aufgestelltem Kopf auf dem Bauch liegt und an einem Grashalm kaut. Ihr Rock und ihre ärmellose Bluse sind orange, gelb und violett moiriert. Ein langer schwarzer Zopf reicht ihr bis zu den Hüften. Ihre Haut ist honigbraun, der Schmollmund kindlich und sinnlich zugleich, und die Brauen über ihren dunklen Augen sind wie Vogelflügel gebogen. Neben ihr ein leerer Flechtkorb.
Die ganze Szene ist vom hochsommerlichen Licht durchflutet. Alles erscheint luftig und leicht. Die Konturen des liegenden Mädchens heben sich von dem grünen, mit weißen Blümchen gesprenkelten Hintergrund ab, von tausenden von Grünklängen, schillernden Farbnuancen, vibrierenden Tupfen und schimmernden Strichen in Türkis und Opal, Gelboliv und Smaragd. Wir versinken beinahe im Duft der Erde und im süßen Geruch der Wiesenblumen.
Der kleine Bub stellt sich neben das liegende Mädchen und dreht sich zu uns und zur Kamera. Der etwa Fünfjährige hat kurzgeschorene pechschwarze Haare und schaut schelmisch und frech:
– Džanes romanes?
Das liegende Mädchen lacht laut auf, während der Bube redet und redet:
– Sar bušos? Me bušav Milosch! Katar aves?
Währenddessen fährt die Kamera zurück, und wir entdecken Amrita an der Staffelei, die die Liegende und das Gräsermeer auf Leinwand malt.
– Was sagt dein Bruder?
– Er fragt, ob du unsere Sprache sprichst, weil du wie eine von uns ausschaust! Ich habe ihm gesagt, dass du eine Gadži bist, aber er glaubt mir nicht! Und er fragt, ob du ihm auch einen Pengö gibst, wenn du ihn malst!
– Sag ihm, dass man dafür lange still sitzen oder stehen muss!
Aber der Lausbub hat sich mit seiner Ziege schon längst aus dem Staub gemacht.
Stille, nur das Babbeln und Kichern der zwei kleinen Mädchen ist zu hören, die aber bald aufstehen und unser Blickfeld verlassen. Amrita malt die letzten Pinselstriche. Weißhöhungen auf der Wiese und im Inkarnat der Lippen. Das Modell fängt zu singen an und schnalzt dabei rhythmisch mit den Fingern:
– Amen sama but Roma – Kaj phirasa ped Roma – Pala mange but Roma – Si ma romnji phurani – Palaj mange voi terni -Palaj mange naj prvi…
– Es ist schön, was du da singst, was bedeutet das?
– Es ist ein Lied über uns, die Roma, es sagt „Die guten Menschen sind auf den Straßen unterwegs, und…“
Sie wird vom kleinen Bruder unterbrochen, der im Vorbeigehen, diesmal ohne Ziege, das Lied aufgegriffen hat und weiter singt:
– Si ma romnji phurani – Palaj mange voi terni – Palaj mange naj prvi…
Das Mädchen lacht erneut:
– Er singt: „Ich habe eine alte Frau, aber für mich ist sie die Schönste und die Jüngste!“
Amrita lacht auch über den lebhaften Bengel.
– Das Lied singen wir immer auf Festen und Hochzeiten, Papo, ich meine Großvater, spielt die Bratsche und mein Vater die Klarinette. Die Leute tanzen gerne dazu, und weißt du, wir spielen auch für die Gadže, und wenn du willst, können wir auch bei deiner Hochzeit singen, wenn du den Gadžo heiratest, der dich immer begleitet, wie heißt er noch?
– Victor. Aber Kalia, ich will noch nicht heiraten, ich bin zu jung dafür, ich bin erst neunzehn…
– Na und? Meine Mutter war viel jünger! Und da hat sie mich gleich bekommen, dann kam mein anderer Bruder, den du nicht kennst, weil er mit Vater Geschäfte macht, sie sind manchmal viele Tage weg, dann erst Milosch… das heißt, nein, dazwischen ist ein Baby gestorben, dann Lali und Anna, die Zwillinge sind, und jetzt das Baby.
– Wie heißt es denn?
– Eigentlich Lazlo, wie unser Papo, aber wir nennen es Booba… Du, sag, wenn du mit dem Bild fertig bist, machst du noch eins von mir? Für zwei Pengö würde ich auch nackt für dich posieren, aber heute muss ich bald Schluss machen, ich muss noch Obst pflücken gehen, bevor es dunkel wird.
Vom Forstrain kommt uns ein junger schlanker Mann entgegen. Wir sehen zum ersten Mal den erwachsenen Victor. Er trägt eine weiße Leinenhose und ein kurzärmliges Hemd. Amrita umarmt das Zigeunermädchen und sagt zum Abschied:
– Kalia, Kleine, vielleicht hast du recht mit dem Gadžo…
Vorsichtig nimmt sie die Leinwand von der Staffelei. Victor klappt Feldstaffelei und Malhocker zusammen und steckt sie sich unter den Arm, den Malkoffer nimmt er in die linke Hand, die rechte streckt er dem Mädchen entgegen. Amrita fügt hinzu:
– … aber nicht mehr in diesem Sommer, vielleicht nächstes Jahr!
– Nächstes Jahr? Wir sind nächstes Jahr sicher nicht mehr hier, weißt du, wir ziehen immer weiter, wir reisen durch das Land, von Stadt zu Stadt, wie die Bienen von Blume zu Blume!
Kalia hebt ihren Korb auf, winkt Amrita und Victor ein letztes Mal zu und verschwindet aus unserem Blickfeld. Im Off können wir sie noch hören:
– Also bis morgen! Und ihre singende Stimme verliert sich im Grün der Sommerwiese:
– Amen sama but Roma – Kaj phirasa ped Roma – Pala mange but Roma…
PARIS. AMRITAS ATELIER. MORGEN.
Totale Einstellung. Ölbilder von Amrita, Boris und Marie-Louise stehen nun am Boden: Porträts und Selbstbildnisse, Pariser Landschaften und ungarische Dörfer, Akte und Stillleben. Amrita steht an der Staffelei. Sie trägt einen schwarzen wallenden Malkittel; an der rechten Hand bunte Perlenketten, die bei jeder Bewegung leise klirren. Sonst ist Stille. Die Morgensonne durchflutet das Zimmer. Auf der Chaiselongue liegt in lasziver Pose eine junge Frau, auf die Ellbogen gestützt, und liest aus einem Buch. Sie ist nackt. Ihre Haut ist sehr hell. Sie sagt:
– Hör dir das an, es ist für dich geschrieben:
Tes pieds sont aussi fins que tes mains, et ta hanche
Est large à faire envie à la plus belle blanche
À l’artiste pensif ton corps est doux et cher
Tes grands yeux de velours sont plus noirs que ta chair
Sie hält inne, dann:
– Wir lernen es jetzt auswendig, komm, wiederhol nach mir
tes pieds sont aussi fins que tes mains …
Amrita sagt sanft:
– Marie, lass mich arbeiten und hör auf, dich zu bewegen.
Sie hat einen leichten, sehr sanften Akzent.
Das Mädchen sagt weiter auf:
– …et ta hanche est large à faire envie à la plus belle blanche …
Sie kichert dabei schelmisch und wiederholt:
– … à faire envie!
dann vor sich hin, nur noch flüsternd,
– … à l’artiste pensif ton corps est doux et cher …
Großeinstellung auf Amritas Hand und den Pinsel. Während die Kamera entlang dem Frauenkörper auf der Leinwand gleitet, spricht Marie aus dem Off weiter:
– … à l’artiste pensif ton corps est doux et cher …
Aus Amritas Blick: Marie streckt sich nach einer Cognac-Flasche auf einem kleinen Tisch, dabei rutscht das rote Seidentuch, das ihre Hüfte bedeckt, zu Boden. Sie nimmt einen Schluck aus der Flasche und stellt sie wortlos zurück. Statt sich wieder in Positur zu legen, setzt sie sich nun zusammengekauert auf, schließt die Augen und wiederholt bedächtig langsam:
– à l’artiste pensif ton corps est doux et cher …
Amrita nähert sich. Weiter aus ihrem Blickwinkel: Kamerazufahrt zur Chaiselongue, dann Maries Gesicht in Naheinstellung. Eigentlich Aufsicht, da Amrita nun vor dem nackten Modell steht. Marie lächelt fast unmerklich. Sie hat die Augen noch immer geschlossen. Amrita streicht ihr leicht über die Wange. Dabei klirren wieder ihre Armketten. Marie öffnet die Augen, schaut hoch zu ihrer Freundin und flüstert:
– tes grands yeux de velours sont plus noirs que ta chair.
Ihr Blick ist kindlich und lüstern zugleich. Sie schmiegt ihren Kopf an Amritas Bauch. Amrita umschließt Maries Gesicht mit beiden Händen, schüttelt den Kopf, ihre schwarzen Haare fallen auf ihre Schultern und über den Rücken, Marie entkleidet sie und zieht sie an sich. Sie taumeln und fallen. Küssen sich. Amerikanische Einstellung auf ihre nackten Körper. Beide Körper gleich fein und weich, Schenkel, Hüften, Brüste, nur der Farbkontrast ist erstaunlich: Maries blasser Teint und Amritas ambrafarbene Haut. Alles geschieht langsam und harmonisch. Sie umarmen sich zärtlich, wiegen sich, schmiegen sich Hand in Hand, Bauch an Bauch, Bein in Bein. Aneinander. Ineinander.
Weicher Bildschnitt.
Aufblende. Selbe Kameraeinstellung. Marie liegt jetzt mit dem Gesicht zur Wand. Vor ihr Amrita auf dem Rücken, im Profil. Sie haben sich mit dem roten Seidentuch bedeckt. Jetzt sieht man, dass es mit einem schwarzen Drachen bestickt ist. Amrita beginnt zu sprechen:
– Weißt du, der Winter in Indien … es ist völlig anders als all das, was du dir vorstellen kannst. Anders als alles, was du je gehört hast.
Sie dreht sich zu Marie, stützt sich auf den linken Ellbogen und beginnt, die Konturen ihres Körpers mit dem Zeigefinger nachzuzeichnen. Während sie weiter spricht, schwenkt die Kamera durch das Zimmer, von Bild zu Bild, Gypsy Girl from Zebegény, das fertige Porträt von Boris mit den Äpfeln, Young Girls, Notre Dame.
– Das Land ist einfach wunderschön, endlose karge Flächen, die Erde granatrot, gelbgrau, ockerbraun, und die Menschen … unglaublich dünn und dunkel, traurig und schweigsam … und über allem schwebt eine Art … Melancholie.
Self-Portrait at Easel, Madame Taslitzky, Young Girls, Sleep.
– Und dann gibt es diesen wunderbaren Ort, den stillsten Ort, den ich je erlebt habe. Man weiß nicht, was Stille ist, was sie sein kann, solange man diesen Ort nicht gesehen hat. Ellora, die Höhlentempel.
Study of Model, Marie Louise Chassany, Yusuf Ali Khan, Reclining Nude.
– Stell dir vor: gewaltige Felsen, in die Höhlen hineingeschlagen wurden, mächtige Säulen mit verzierten Kapitellen, und in den vielen niedrigen Höhlen: Stille, und ein märchenhaftes Zwielicht.
Die Kamera hat nun das ganze Atelier umkreist und kehrt jetzt zu den zwei Freundinnen zurück. Sie liegen noch immer auf der Seite, Marie Amrita den Rücken kehrend, das Gesicht zur Wand, eng aneinander geschmiegt.
– … Wasser sickert durch die Felswand, und überall sind Skulpturen, einmalige Skulpturen und Einsamkeit.
Wir nähern uns den Gesichtern, dann wechselt die Kamera in die vertikale Aufsicht und überblickt beide Frauenprofile in Nahaufnahme.
– Ich muss nach Indien zurück, verstehst du? Ich gehöre dorthin, und Indien gehört zu mir.
Über Maries rechte Wange fließt eine stille Träne.